Ab 1. Juli Entzug der Veterinärbescheinigungen: Grausame Tiertransporte gehen dennoch weiter 

VIER PFOTEN fordert Verbot von Drittlandexporten / Deutschland muss für Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung Vorreiterrolle einnehmen 

30.6.2023

Hamburg, 30. Juni 2023 – Ab morgen, den 01. Juli 2023, will das Bundeslandwirtschaftsministerium deutsche Veterinärbescheinigungen für Exporte lebender Rinder, Schafe und Ziegen zur Zucht aus Deutschland in Länder außerhalb der Europäischen Union zurückziehen. Allerdings werden Tiertransporte in diese Staaten dadurch laut Einschätzung von VIER PFOTEN nicht verhindert. Die globale Tierschutzstiftung fordert deswegen, grausame Lebendtiertransporte aus Deutschland in Drittstaaten außerhalb der EU zu verbieten.

„Der Entzug der Veterinärbescheinigungen hat eine Signalwirkung – mehr allerdings nicht. Minister Özdemir sagt, dass er alles rechtlich Mögliche getan habe, um Lebendtiertransporte in Drittstaaten zu begrenzen. In der TV-Sendung ,maischberger‘ hatte er sogar angegeben, dass per Anordnung keine Transporte mehr in Drittstaaten stattfinden würden. Doch um wirklich zu verhindern, dass die grausamen Tiertransporte weitergehen, muss Minister Özdemir den Export deutscher Lebendtiertransporte in Drittstaaten verbieten. Dass dies durch eine Rechtsverordnung rechtlich möglich ist, stellen mehrere Gutachten, darunter eines des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages fest. Auch die aktuelle Überarbeitung des deutschen Tierschutzgesetzes bietet die Möglichkeit, ein solches nationales Drittlandexportverbot durch einen eigenen Paragrafen umzusetzen.

Es ist ein gutes Zeichen, dass Deutschland sich auf EU-Ebene mit Belgien, den Niederlanden, Schweden und Dänemark für Verbesserungen des Tierschutzes bei Transporten im Agrarrat stark gemacht hat. Aber es reicht nicht, auf eine in weiter Ferne liegende EU-weite Lösung zu warten, die noch jahrelanges Tierleid auf grausamen Tiertransporten bedeutet. Deutschland muss jetzt eine Vorreiterrolle einnehmen, um bei der anstehenden Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung deutliche Verbesserungen für die Tiere zu erreichen.

Nur wenn es Mitgliedstaaten gibt, die bereits ein nationales Verbot umgesetzt haben, wird ein EU-weites Verbot wahrscheinlich. Wir appellieren an Minister Özdemir: Gehen Sie als grüner Bundeslandwirtschaftsminister mit einem klaren nationalen Drittlandexportverbot voran und setzen Sie ein wirkungsvolles Zeichen für die Tiere.“

sagt Rüdiger Jürgensen, Mitglied der Geschäftsleitung VIER PFOTEN Deutschland

Tiertransporteure arbeiten an Lösungen, um weiter zu transportieren

Schon jetzt hat etwa der große Tiertransporteur VOST (Verein Ostfriesischer Stammviehzüchter) angekündigt, dass man zwar durch den Entzug der Veterinärzertifikate zukünftig „deutlich mehr Papierkram“ zu erledigen habe, aber dennoch bereits nach Lösungen suche, um die Transporte in Drittstaaten fortsetzen zu können.

Es ist davon auszugehen, dass die Händler inzwischen so gut vorbereitet sein werden, dass die Transporte ungebremst weitergehen können. Denn Tiere können trotz entzogener Bescheinigung durch das Bundesministerium weiter in Länder außerhalb der EU exportiert werden: Ein Entzug der Veterinärzertifikate ist nicht mit einem Exportverbot gleichzusetzen. Ist ein Drittland an lebenden Tieren oder tierischen Erzeugnissen interessiert, ist eine zwischen dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und dem Drittland abgestimmte Veterinärbescheinigung nicht zwingend erforderlich. Veterinärbescheinigungen können den Handelsbeteiligten auch unmittelbar durch Drittstaaten zur Verfügung gestellt oder zwischen den Handelspartner:innen direkt vereinbart werden. Darüber hinaus betrifft das Zurückziehen der bilateralen Veterinärbescheinigungen nicht alle Drittstaaten, in die Deutschland lebende Tiere transportiert: So bestehen zum Beispiel für einige Drittländer weiterhin Veterinärzertifikate, die zwischen der EU und Drittländern verhandelt wurden. Für viele Exporte in Staaten wie beispielsweise Russland, die Türkei, Kasachstan oder Usbekistan ändert sich durch die Handlungen des Ministeriums rein gar nichts und für die anderen Länder werden die Handelsbeteiligten vermutlich Veterinärzertifikate ohne BMEL-Beteiligung abstimmen.

Tiertransporte aus Deutschland

Jedes Jahr werden Zehntausende Rinder von Deutschland aus in EU-Länder und in weit entfernte Drittstaaten wie Algerien, Marokko oder nach Ägypten transportiert. Die Tiere leiden tage- bis wochenlang unter Hitze oder Kälte, Durst, Hunger, Verletzungen, Stress und Angst. Vorgeschriebene Pausen werden nicht eingehalten, kaum ein Transport wird kontrolliert. Außerhalb der EU kann die Einhaltung des Tierschutzgesetzes gar nicht mehr überprüft werden. Verstöße gegen geltendes Recht sind an der Tagesordnung.

Bei Schiffstransporten werden die Tiere gewaltsam in die Schiffe ein- und ausgeladen, immer wieder werden ihnen dabei Knochen und Gliedmaßen gebrochen. Wochenlang sind die Tiere auf dem Meer, viele von ihnen sterben unterwegs an Erschöpfung. Tierärzt:innen sind  nicht an Bord. Verstorbene Tiere werden über Bord geworfen, was in der Vergangenheit bereits die öffentliche Gesundheit gefährdet hat. Der Transport auf Schiffen gilt als Pausenzeit und fließt nicht in die Transportzeit ein.

Am Zielort werden die Tiere meist ohne Betäubung auf grausame Art getötet. Die Missstände sind seit langem bekannt und verschiedene Rechtsgutachten bestätigen, dass ein Verbot auf nationaler Ebene durch eine Rechtsverordnung möglich ist. Außerdem ermöglicht die aktuelle Überarbeitung des deutschen Tierschutzgesetzes, ein Verbot solcher Transporte direkt im Gesetz zu verankern. „Ein nationales Verbot von Tiertransporten in Drittstaaten ist lange überfällig und dringend erforderlich“, so Jürgensen abschließend.

Regelmäßige Mahnwache vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium

Gemeinsam mit dem Tierschutznetzwerk „Kräfte bündeln“ hält VIER PFOTEN seit dem 21. Juni 2023 an jedem 01. und 03. Mittwoch im Monat von 12 bis 14 Uhr vor dem Bundeslandwirtschaftsministerium eine Mahnwache ab. Die globale Tierschutzstiftung lädt Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir herzlich zu einem Gespräch über Lebendtiertransporte ein.

Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier

Oliver Windhorst

Pressesprecher für Tiere in der Landwirtschaft

presse-d@vier-pfoten.org

+49 151 183 515 30

VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz
Lübecker Straße 128, 22087 Hamburg

VIER PFOTEN ist die weltweite Tierschutzorganisation für Tiere unter direktem menschlichem Einfluss, die Leiden aufdeckt, Tiere in Not rettet und sie schützt. Gegründet 1988 in Wien von Heli Dungler und Freunden, setzt sich die Organisation für eine Welt ein, in der Menschen Tieren mit Respekt, Empathie und Verständnis begegnen. Die nachhaltigen Kampagnen und Projekte von VIER PFOTEN konzentrieren sich auf Haustiere wie streunende Hunde und Katzen, Nutztiere und Wildtiere - wie Bären, Großkatzen und Orang-Utans - in unangemessener Haltung sowie in Katastrophen- und Konfliktgebieten. Mit Büros in Australien, Österreich, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Kosovo, den Niederlanden, der Schweiz, Südafrika, Thailand, der Ukraine, Großbritannien, den USA und Vietnam sowie Auffangstationen für gerettete Tiere in elf Ländern bietet VIER PFOTEN schnelle Hilfe und langfristige Lösungen. 

www.vier-pfoten.de

Jetzt Teilen!

Suche