"Der jetzt vorgestellte Referentenentwurf ist leider eine herbe Enttäuschung. Er scheitert an seiner zentralen Aufgabe, transparent zu informieren und so eine Lenkungsentwicklung beim Konsum tierischer Produkte zu entfalten. Gerade die vorgeschlagenen Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“ und „Frischluftstall“ zeichnen kein aussagekräftiges und unterscheidbares Bild über die Art und Weise, wie die Tiere wirklich gehalten und inwiefern ihre arteigenen Bedürfnisse erfüllt werden.
Fakt ist: Bei all diesen Stufen dürfen die Tiere in Ställen mit Vollspaltenbuchten ohne weich eingestreute Liegefläche und Auslauf ins Freie gehalten werden. Selbst bei der Stufe „Auslauf/Freiland” ist nicht garantiert, dass die Tiere eine eingestreute Liegefläche zur Verfügung haben. Zudem sind im Gesetzentwurf keinerlei verpflichtende Vor-Ort-Kontrollen der angegebenen Haltungsformen vorgesehen.
Solange die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht klar darüber informiert werden, wie die Haltung in den unterschiedlichen Stufen in der Realität aussieht – und die ist leider potenziell schlecht – wird auch kein Anreiz gesetzt, sich beim Einkauf für eine Stufe mit höheren Haltungsstandards zu entscheiden. Denn wer gibt schon mehr Geld aus, ohne zu wissen, wofür?
Bislang ist nur geplant, Frischfleisch vom Schwein von der Kennzeichnung zu erfassen. Das sind in etwa nur 30 Prozent des Angebots von Schweinefleisch am Markt: Bei der Wurst im Regal, dem Nackensteak im Restaurant oder dem Schweineschnitzel im Krankenhaus wird man weiterhin im Dunkeln tappen, denn Gastronomie und Außer-Haus-Verkauf bleiben zunächst unberücksichtigt.
Ein weiterer großer Schwachpunkt ist, dass abgesehen von der Stufe „BIO“, nur die Haltungsstandards in der Mast dargestellt werden und nicht während des gesamten Tierlebens. Damit wird die Haltung der Muttersauen und ihrer Ferkel nicht berücksichtigt, unter Umständen können die Ferkel auch aus schlechter Haltung über hunderte Kilometer nach Deutschland importiert werden, ohne dass die Verbraucherinnen und Verbraucher dies durch die Produktkennzeichnung erfahren.
Durch die Einführung dieser intransparenten Haltungskennzeichnung wird weder den Verbraucherinnen und Verbrauchern noch den Tieren geholfen. Denn wer der Meinung ist, dass eine verpflichtende Haltungskennzeichnung allein mehr Tierwohl bedeutet, hat die Rechnung ohne den Faktor Kosten gemacht. Bessere Ställe mit mehr Platz und Auslauf bedeuten höhere Kosten und können erst gebaut werden, wenn Konsumentinnen und Konsumenten mehr Geld für tierische Produkte aus besserer Haltung ausgeben und auch der Staat seinen finanziellen Teil dazu beiträgt. Verbraucherinnen und Verbraucher werden das aber nur tun, wenn sie verstehen, wofür sie mehr Geld ausgeben sollen. Mit diesem Kennzeichen wird die Chance vertan, eine Lenkungswirkung hin zu Produkten aus besserer Haltung zu erzeugen und damit die Konsumentinnen und Konsumenten am Umbau der Tierhaltung zu beteiligen. Vom selbst ernannten obersten Tierschützer Deutschlands, Cem Özdemir, hätten wir wesentlich mehr erwartet. Und vor dem Hintergrund, dass die FDP nach wie vor alle weiteren Finanzierungsmöglichkeiten wie eine Fleisch-Sonderabgabe oder die Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte blockiert, ist das fatal."
Rüdiger Jürgensen, Mitglied der Geschäftsleitung VIER PFOTEN Deutschland