Kleine Tiger,großes Geld

VIER PFOTEN rettet Großkatzen von illegaler Zuchtfarm

1.6.2023

Es ist 3 Uhr nachts. Der Flughafen der jordanischen Hauptstadt Amman ist beinahe menschenleer. Ein Gabelstapler rollt aus dem Bauch eines Frachtflugzeugs und fährt über das Rollfeld zu einem beleuchteten Hangar. Auf den Gabeln trägt er eine kostbare Fracht: zwei Transportboxen mit lebenden Bengalischen Tigern. In Empfang genommen werden sie vom Team von VIER PFOTEN.
Tierarzt und Leiter der Rettungsaktion Dr. Amir Khalil schaltet die Taschenlampe seines Handys ein und leuchtet durch eines der kleinen Belüftungslöcher in eine der Boxen: „Das ist Fangio. Er sieht etwas durstig aus, gebt ihm Wasser.“ Er leuchtet in die nächste Box. Der Tiger darin faucht. „Charly beschwert sich, das heißt, es geht ihm gut. Los, auf den Lkw mit ihnen!“

"In den ersten Tagen traute Fangio seinen Augen nicht. Er schaute die ganze Zeit umher, schnupperte an jedem Baum, jedem Busch und jeder Blüte. Er dachte wohl, das sei alles nur ein Traum."

SAIF RWASHDEH, Cheftierpfleger Al Ma’wa

Weite Reise

Sechzig Kilometer entfernt wartet das Team des jordanischen Wildtierschutzzentrums Al Ma’wa gespannt auf die Ankunft der beiden Tiger. Es ist für die Tiere der letzte Abschnitt einer 60-stündigen Reise: Charly (fünf Jahre) und Fangio (18 Jahre) stammen von einer illegalen Tigerzuchtfarm im Ort Balcarce in der argentinischen Provinz Buenos Aires, mehr als 12.000 Kilometer von Al Ma’wa entfernt. 

Dort wurden sie für die Zucht gehalten, aber jahrelang vernachlässigt. Zwischen 2.000 und 20.000 Euro erzielt ein Jungtier auf dem Schwarzmarkt in Lateinamerika. Hat es weißes oder goldenes Fell, erhöht sich der Preis auf bis zu 100.000 Euro. Mit kleinen Tigern lässt sich großes Geld verdienen.

Buenos Aires, Argentina | 2023 05 18 | FP team rescuing tigers in Buenos Aires, Argentina.

Der Boden der Tigergehege war mit Schlamm und Fäkalien bedeckt. Ein unerträglicher Gestank hing in der Luft.

Kriminelle Netzwerke

Nicht nur in Südamerika boomt der illegale Handel mit Tigerbabys. Recherchen von VIER PFOTEN zeigen, dass der dubiose Tigerhandel Tiere aus Europa problemlos bis nach Asien verfrachtet. Oftmals landen die Großkatzen in Ländern, in denen die Nachfrage nach Tigerprodukten für die traditionelle Medizin hoch ist. Doch auch in der EU ist der Handel ein Problem: Zwischen 1999 und 2017 wurden in der EU 8.278 Tigerprodukte wie Zähne, Krallen und Tigerbrühwürfel sowie 57 lebende Tiger beschlagnahmt. VIER PFOTEN schätzt, dass die Dunkelziffer bis zu neunmal höher liegt.

Lösung gesucht

Die private Haltung nicht heimischer Wildtiere ist in Argentinien verboten. Als die Behörden 2021 eine Razzia auf der illegalen Zuchtfarm durchführten, beschlagnahmten sie alle dort vorhandenen ca. 300 Wildtiere – nur die beiden Tiger Fangio und Charly nicht. Im ganzen Land fand sich kein artgemäßer Platz für die beiden. Hilfesuchend wandten sich Vertreter des Ministeriums für Umwelt und nachhaltige Entwicklung im Januar 2023 an VIER PFOTEN.

Zwar war auch hier kein Gehege in den Schutzzentren frei, doch das Team legte sich ins Zeug und baute kurzerhand eine neue Anlage in Al Ma’wa – mit doppeltem Sicherheitszaun, Teichen zum Baden, Kletterplattformen und vielem mehr.

Eingebettet in einen geschützten mediterranen Wald liegt Al Ma’wa for Nature and Wildlife auf einer Höhe von 1.100 Metern und bietet den geretteten Tieren eine naturnahe Heimat.

Eingebettet in einen geschützten mediterranen Wald liegt Al Ma’wa for Nature and Wildlife auf einer Höhe von 1.100 Metern und bietet den geretteten Tieren eine naturnahe Heimat.

Besuch vom Tierarzt

Zehn Tage nach der Ankunft der Tiger in Al Ma’wa ist es Zeit für einen ersten Gesundheitscheck. Das tierärztliche Team narkotisiert die Tiere und untersucht sie von der Ohren- bis zur Schwanzspitze, betrachtet die Organe im Ultraschall und nimmt Blut- und Urinproben. Für die Tiger ist die Situation ernst. Beide sind stark abgemagert. 

Charly, der schon als vier Wochen junges Baby auf der Farm landete, leidet an Nieren- und Leberschäden. Fangio wurden Teile von Schwanz, Ohren und Zähnen abgetrennt und die Krallen der Vorderpfoten herausgerissen – eine Verstümmelung, die ihn ein Leben lang behindern wird. Wahrscheinlich stammen die Verletzungen aus Fangios Zeit im Zirkus. Wie lange er dort lebte, bevor er 2018 auf die Zuchtfarm kam, ist nicht bekannt.

Die schlechte Haltung auf der illegalen Zuchtfarm hat in den Körpern der Tiger Spuren hinterlassen.

Beide Großkatzen müssen ihr Leben lang medizinisch betreut werden.

Lösung gesucht

Die private Haltung nicht heimischer Wildtiere ist in Argentinien verboten. Als die Behörden 2021 eine Razzia auf der illegalen Zuchtfarm durchführten, beschlagnahmten sie alle dort vorhandenen ca. 300 Wildtiere – nur die beiden Tiger Fangio und Charly nicht. Im ganzen Land fand sich kein artgemäßer Platz für die beiden. Hilfesuchend wandten sich Vertreter des Ministeriums für Umwelt und nachhaltige Entwicklung im Januar 2023 an VIER PFOTEN.

Zwar war auch hier kein Gehege in den Schutzzentren frei, doch das Team legte sich ins Zeug und baute kurzerhand eine neue Anlage in Al Ma’wa – mit doppeltem Sicherheitszaun, Teichen zum Baden, Kletterplattformen und vielem mehr.

Eingebettet in einen geschützten mediterranen Wald liegt Al Ma’wa for Nature and Wildlife auf einer Höhe von 1.100 Metern und bietet den geretteten Tieren eine naturnahe Heimat.

Eingebettet in einen geschützten mediterranen Wald liegt Al Ma’wa for Nature and Wildlife auf einer Höhe von 1.100 Metern und bietet den geretteten Tieren eine naturnahe Heimat.

Wie im Traum

Das neue Zuhause der beiden Tiger in Al Ma’wa umfasst 5.000 Quadratmeter und bietet sehr viel Abwechslung. „In den ersten Tagen schien Fangio seinen Augen nicht zu trauen. Er schaute die ganze Zeit umher, schnupperte an jedem Baum, jedem Busch und jeder Blüte. Er dachte wohl, das sei alles nur ein Traum“, erzählt Cheftierpfleger Saif Rwashdeh. Heute genießt Fangio es besonders, stundenlang mit der Nase im Gras zu dösen. Dafür hat er verschiedene schattige Plätze ausprobiert, bis er den perfekten Ort für sich fand. Der jüngere Charly liebt es dagegen, nach Herzenslust herumzutoben, im Pool zu schwimmen und die vielen Beschäftigungsmöglichkeiten zu erkunden. „Die beiden wissen ihr neues Leben hier bei uns wirklich zu schätzen“, sagt Rwashdeh zufrieden.

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